Bereits in den letzten Wintertagen und vor allem jetzt im Frühling können wir sie wieder sehen: farbenfrohe Punkte in leuchtendem Gelb und Rot auf den sonst noch bräunlich trüben Beeten und Wiesen. Auch im Wald, verwildert in Parkanlagen, in Vorgärten und Schrebergartenanlagen, auf Friedhöfen und auf städtischem Grün sind Teppiche von zart lila, azurblauen, grünlich-gelben oder strahlend weißen Frühblühern zu sehen.
Das Geheimnis liegt in der Erde: im Frühjahr wächst und sprießt es aus den kleinen Zwiebeln, den Knollen oder dem Wurzelstock.
Für unsere heimische Flora hat der Temperaturwechsel zwischen den Winter- und Sommermonaten zu einer Reihe von Anpassungsstrategien geführt. Eine Strategie ist es, die empfindlichen Erneuerungsknospen vor dem winterlichen Frost unter der Erde zu schützen, zu verbergen. Daher auch ihr Name: Krypophyten (griech. kryptos = verborgen), auch Geophyten genannt. Sie werden in Zwiebel-, Rhizom- und Knollen-Geophyten unterschieden. Neben diesen Überdauerungs- und Speicherorganen ist den Frühblühern zusätzlich eine kurze Vegetationsphase (Zeit zwischen Austreiben und ihrem Absterben/ Vergehen) als eine weitere Anpassung gemein.
Nehmen wir zum Beispiel das heimische Buschwindröschen, auch Anemone genannt, unserer Laubwälder. Im Frühjahr treiben diese aus ihrem Wurzelstock und nutzten die darin gespeicherten Stoffe des Vorjahres. Während die Laubbäume, wie Buchen oder Eichen, ihre Blätter entfalten, legen sie los: Wachsen, Blühen, Fruchten, Anlegen von Vorräten und Speicherstoffen. Hat sich dann ein dichtes Blätterdach ausgebildet, kommt für die Pflanzen am Waldboden nicht mehr ausreichend Licht an. Bis dahin sind sie mit allem Lebensnotwendigen fertig. Im Frühsommer sterben ihre Blätter ab und die dabei frei werdenden Abbau- und Inhaltsstoffe werden ebenso im Wurzelstock für das neue Jahr gespeichert.
Ähnlich verhält es sich mit den Tulpen. Doch ziehen sie ihr Laub nicht aufgrund von Lichtmangel zurück. Wild kommen sie nämlich in sommertrockenen Steppengebieten (z.B. in der Türkei, im Kaukasus oder Zentralasien) vor. Im Frühjahr wenn es dort noch frisch und feucht ist, dazu alle anderen Bedingungen wie Licht, Nährstoffverfügbarkeit und Temperatur passen, starten sie durch. Bis es in den Sommermonaten zu heiß und trocken für sie wird, haben sie ihr Laub abgeworfen und ihre zuvor produzierten Vorräte in die Zwiebel eingelagert. Diese können dann im nächsten Frühjahr wieder für einen schnellen Start genutzt werden.
Eine kurze Vegetationsphase ist nicht nur bei Lichtmangel, drohender Hitze und Trockenheit von Vorteil, sondern auch im (Hoch-)Gebirge. So kommt die Kegelblume (Puschkinie) wild auf Wiesenhängen zwischen 1700m und 3500m Höhe in der Türkei, dem Kaukasus, sowie im Norden des Iran und Iraks vor. In diesen Höhenlagen sind die Sommer kurz und die Kegelblume begegnet diesen Bedingungen, indem sie nicht viel Biomasse produziert, sondern in die schnelle Ausbildung ihrer Blüten und die Entwicklung ihrer Samen investiert.
Einige unserer Frühblüher, wie z.B. die Blausterne oder die Kegelblumen haben also ihr ursprüngliches Verbreitungsgebiet /Areal nicht in unseren Breiten. Über den Handel kamen sie hierher und wurden zum Teil schon ab dem 16. Jh. als Zierpflanzen in Gärten und Parkanlagen von Herrenhäuser, Schlössern, Kirchen, Klöstern oder Gutshäusern gepflanzt. Einige von ihnen verwildern und bilden ohne menschliches Zutun große Bestände. Sie sind mittlerweile ein fester Bestandteil unserer einheimischen Flora (eingebürgerte /etablierte Stinzenpflanzen). So können wir eine bunte Farbenpracht schon an den ersten trüben und kalten Frühlingstagen erleben. Welch ein Glück!
Die beiden Zwiebel-Geophyten: Gewöhnliches Schneeglöckchen (Galanthus nivalis L.) und Winterlinge (Eranthis hyemalis (L.) Salisb.) sind meist die ersten Frühblüher und schon ab Februar zu sehen. (Park Sanssouci, Potsdam)
Das Heimatareal des Gewöhnlichen Schneeglöckchens sind frische Laubwälder in Frankreich, Italien, Balkan, SW-Deutschland, S-Polen und die W-Ukraine. Eingebürgert ist es im nördl. Mitteleuropa und N-Amerika. (in Kultur seit 1568)
Winterlinge (Eranthis hyemalis (L.) Salisb.) und Elfen-Krokusse (Crocus tommasinianus Herb.) (Botanischer Garten Potsdam)
Winterlinge kommen ursprünglich aus S-Frankreich, N-und M-Italien, dem Balkan, der Türkei, N-Irak und Afghanistan. Dort findet man sie in Laubmischwäldern, Hecken, Parks, Weinbergen und auf Friedhöfen. Eingebürgert sind sie in Mittel- und Westeuropa. (in Kultur seit 1570)
Ein Blütenmeer an Elfen-Krokussen (Crocus tommasinianus Herb.) (Park Sanssouci, Potsdam)
Die Elfen-Krokusse (Crocus tommasinianus Herb.) auch Dalmatiner Krokusse genannt, kommen ursprünglich aus S-Ungarn, Kroatien, Bosnien, Serbien und Bulgarien.
In West- und Mitteleuropa verwildert dieser Knollen-Geophyt gerne unter Gehölzgruppen, in Parks und Rabatten. (in Kultur seit 1847)
Der Zweiblättrige Blaustern (Scilla bifolia L.), ebenso ein Zwiebel-Geophyt, hat sein Heimatareal in Z- und O-Mittelmeergebiet: in Gebirgen, N-Spanien, S- und M-Deutschland, Ukraine, Balkan und Kaukasus, Vorderasien und kommt dort in Wäldern und an Gehölzgruppen vor. (in Kultur seit 1594)
Ein hellrosa Exemplar des Zweiblättrigen Blausterns (Scilla bifolia L.)
Sibirischer Blaustern (Scilla siberica Haw.), Scharbockskraut (Ranunculus ficaria L.) und Finger-Lerchensporn (Corydalis solida (L.) Clairv. (Botanischer Garten Berlin)
Der Sibirische Blaustern (Scilla siberica Haw.), mit seine leuchtenden azurblauen Blütenblättern, ist ebenso ein beliebter Frühblüher. Sein Ursprungsareal liegt in Mittel-Russland, in der Ukraine, im Kaukasus und in der Türkei. Auch er gehört zu den Zwiebel-Geophyten. (in Kultur seit 1796)
Der Echte Schneestolz (Chionodoxa lucîliae (Boiss.), auch Sternhyazinthe oder Schneeglanz genannt, kommt aus dem Boz-Dagh in der W-Türkei. Dort besiedelt die Art offene Berghänge in bis zu 2100m Höhe. (in Kultur seit 1878)
Breite Blütenblätter und insgesamt eine große Blüte von ca. 3,5cm Breite kennzeichnen diese Art. Das große weiße Blütenzentrum („Auge“) ist nicht scharf vom äußeren blauen Teil der Blütenblätter abgesetzt.
Im Gegensatz dazu, ist bei Chionodoxa siehei das weiße Auge deutlich kleiner und scharf vom blauen Teil der Blütenblätter getrennt. Es wurde früher mit C. forbesii verwechselt, befand sich aber nie in gärtnerischer Kultur.
Ähnlich wie der Echte Schneestolz verwildert Chionodoxa siehei in Gärten Friedhöfen, Parkanlagen sowie an Straßen- und Wegrändern.
Alle Chionodoxa-Arten sind Zwiebel-Geophyten.
Schneestolz / Schneeglanz im Park Sanssouci, Potsdam
Der Wald-Goldstern (Gagea lutea (L.) Ker Gawl), ein weiterer Frühjahrs-Zwiebel-Geophyt, kommt in unseren Breiten in frischen Laubmischwäldern, an Hecken, Wald- und Gebüschsäumen und auf ihren angrenzenden Wiesen, sowie in Parkanlagen vor.
Die Kegelblume/ Puschkinie (Puschkinia scilloides Adams) (Botanische Anlage Potsdam)
verwildert in Deutschland und überwintert als Zwiebel. (in Kultur seit 1800)
Hunderte Puschkinien auf städtischem Grün, am Straßenrand „Unter den Eichen“, Berlin
Die Kleine Traubenhyazinthe (Muscari botryoiodes (L.) Mill) mit ihren himmelblauen, fast kugeligen Blüten und den weißen Zipfeln, ist ebenso ein Frühjahrs-Zwiebel-Geophyt und kommt ursprünglich aus Frankreich, Italien, Rumänien, dem Balkan und dem südl. Zentraleuropa. Dort wächst sie auf Bergwiesen, Magerrasen und Eichenmischwäldern (in Kultur seit 1576).
In Deutschland wird sie gerne in Rabatten gepflanzt. Neben den blauen, werden auch weiße Sorten im Gartenhandel angeboten.
Die Buschwindröschen (Anemone nemorosa L.)
treiben im Frühjahr aus einem stark verdickten Wurzelstock (Rhizom). Jetzt können wir die weißen „Sterne“ in Laubwäldern (Eichen, Buchen) und/oder an Hecken und Gebüschen bewundern.
„Nemorosa“ bedeutet übrigens „im lichten Wald vorkommend“.